Sven Stricker: Sörensen am Ende der Welt (Rowohlt)

Rezension von Julia Hartel

Buchcover „Sörensen am Ende der Welt“ von Sven Stricker

Kommissar mit Angststörung

So viel vorweg

Den Autor Sven Stricker hatte ich bis vor Kurzem überhaupt nicht auf dem Schirm. Und das, obwohl ich die 2021 in der ARD ausgestrahlte Verfilmung von Sörensen hat Angst sogar gesehen hatte und ziemlich gut fand. Erst durch den Literaturblog „buchpost“ kam ich auf die Idee, die beiden Folgebände Sörensen fängt Feuer und Sörensen am Ende der Welt zu lesen – nein: zu verschlingen! Denn hier weiß einer wirklich, wie man schreibt.

Worum geht’s?

Um den titelgebenden Kommissar Sörensen, der von einer heftigen Angststörung gebeutelt wird und sich von Hamburg nach Nordfriesland versetzen lässt, um dort endlich ein ruhigeres Leben zu führen. Natürlich geht dieser Plan nicht auf. Kaum in der fiktiven Kleinstadt Katenbüll angekommen, muss Sörensen gemeinsam mit seinem Team einen abstrusen Fall nach dem anderen lösen: Im ersten Teil liegt gleich mal der Bürgermeister ermordet im eigenen Pferdestall. Im zweiten Teil bekommt es die Polizei mit einer verbrecherischen religiösen Sekte zu tun. Und in Sörensen am Ende der Welt spielen einige nicht minder gefährliche Prepper eine prominente Rolle.

So viel kriminelle Energie auf einmal, noch dazu an einem beschaulichen Ort wie Nordfriesland? Ja, das glaubt man irgendwann nicht mehr so richtig, aber die Bücher kokettieren genau damit und machen so die mangelnde Plausibilität verzeihlich. Und überhaupt: In Miss Marples Heimatdorf St. Mary Mead geschehen schließlich auch 16 Morde in 40 Jahren. Hinterfragt das irgendjemand? Eben.

Stilistisches et cetera

Sven Stricker schreibt köstlich. Obwohl die Handlung durchaus schaurig und die Stimmung oft bedrückend ist, musste ich einfach immer wieder kichern. Sätze wie „Eilig stieg [die Kommissarin] aus und sah zu, wie Ólíver davonfuhr“ (jüngst mit großer Langeweile so gelesen in Dunkel von Ragnar Jónasson) gibt es bei Stricker nicht. Wenn Sörensen aus dem Auto aussteigt, klingt das so:

Er schloss den Passat ab, der Boden war lehmig und tief, er versaute sich Schuhwerk und Hosenbeine, über ihnen rasten die Wolken dahin, als hätten sie einen Termin im Erzgebirge und wären spät dran.

(S. 339)

Wie gesagt: Sven Stricker weiß, was es heißt, anschaulich und interessant zu formulieren. Erzählt wird aus verschiedenen Perspektiven, zumeist jedoch aus der Sicht Sörensens. Besonders dessen innere Monologe, aber auch die Dialoge sind hervorragend gestaltet. Die norddeutsch gefärbte Umgangssprache in den wörtlichen Reden wird keineswegs lästig, sondern ist gut dosiert, macht die Figuren lebendig und erleichtert die Einfühlung.

Warum noch toll?

Sörensen ist der wahrscheinlich authentischste Held, der mir seit Langem begegnet ist. Seine Angststörung wird ebenso glaubhaft dargestellt wie seine Vielschichtigkeit. Obwohl er ständig am Leben leidet wie an einem hohlen Zahn, sich am Abgrund entlangtastet und immer wieder fast abrutscht, gibt er sich nie auf. Über seinem Reden und Handeln liegt ein feiner, melancholischer Humor, der eine unbändige Sehnsucht nach Unbeschwertheit und Lebensfreude widerspiegelt. Wenn er gereizt ist, erweist sich seine Zündschnur – bei aller Empathie – als ziemlich kurz. In seinem Kopf geht es hin und her zwischen Angst, Ärger über andere und sich selbst, Erinnerungen und messerscharfen Reflexionen. Der Anblick zweier spielender Hunde direkt neben einem Leichenfundort weckt in ihm folgende Gedanken:

Ein gnadenloses Bild. Es bewies, dass es im Angesicht der Natur keinen Unterschied machte, ob man da war oder nicht. Parallelwelten, dachte Sörensen. Es gab unendlich viele Parallelwelten auf engstem Raum. Die einzige Schnittmenge war die Benutzeroberfläche.

(S. 87)

Wem gefällt’s?

Sörensen am Ende der Welt sowie die beiden Vorgängerbände sind etwas für Leute, denen Krimis im sachlich-berichtenden Stil zu langweilig sind. Wer beispielsweise Frank Schätzings Mordshunger gelungen fand – ebenfalls sehr kurzweilig geschrieben und voller witziger Dialoge –, wird Strickers Sörensen-Romane mit Genuss lesen.

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