Rezension von Julia Hartel
Vom Kripomann zum Mistler
So viel vorweg
Ja, schon wieder ein Krimi! Ich hätte ihn vielleicht gar nicht gelesen, wenn er nicht von meinem großen Vorbild Axel Hacke empfohlen worden wäre. Wurde er aber, und das war sehr gut so! Denn obwohl es erwartungsgemäß auch in diesem Krimi um menschliche Abgründe geht, habe ich mich beim Lesen wieder köstlich amüsiert. Wenn jemand so übertrieben kauzig schreibt, kann ich leider nicht ernst bleiben, Mord hin, Leiche her.
Worum geht’s?
Um den neuesten Fall des Wiener Polizisten Brenner, der eigentlich gar kein Polizist mehr ist, sondern Müllmann – auf gut Österreichisch „Mistler“. Auf seinem Recyclinghof tauchen eines Tages zwischen Elektroschrott, Styropor und Bioabfällen die Einzelteile einer Leiche auf. Kurz darauf, nämlich genau „eine Viertelstunde nach dem ersten Knie“, treffen die Kripobeamten Savic und Kopf ein. Sonnenklar, dass die beiden bei der Aufklärung des Falls durch den früheren Kollegen Brenner unterstützt werden. Letzterer zeichnet sich übrigens durch eine gewisse, sagen wir, moralische Flexibilität aus … Was das bedeutet und was die Recyclinghof-Besucherin Iris, der Praktikant Coco und das Transportunternehmen Tobias mit dem zerstückelten Toten zu tun haben, wird hier nicht verraten. Klar ist jedenfalls: Man möchte dieses Buch kaum aus der Hand legen.
Stilistisches et cetera
Der Schreibstil ist eine echte Ausnahmeerscheinung: Als Leser/-in wird man von der auktorialen Erzählinstanz geduzt! So was ist mir in einem Krimi überhaupt noch nie begegnet. Zudem ist die Ausdrucksweise geprägt von Umgangssprache und Ellipsen, es gibt jede Menge Kommentare und Bewertungen, die Erzählinstanz verschweigt Details, dann wieder verplappert sie sich. Man hat immer das Gefühl, mit ihr am Küchentisch zu sitzen und die Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes erzählt zu bekommen:
Aber der jetzige Praktikant hat [den Mistlern] Rätsel aufgegeben. Weil der war zaundürr, keine Statur, kein Garnichts, bei dem hast du dich wirklich gefragt, wie er es schafft, ohne Wirbelsäulenschaden seinen Haarknödel zu tragen, aber der hat Damenbesuch gehabt, das glaubst du nicht.
(S. 41 f.)
Auch genau solche wiederkehrenden Floskeln von „das glaubst du nicht“ über „jetzt musst du eines wissen“ bis hin zu „mein lieber Schwan“ und „frage nicht“ sind ein wahres Fest. Alles in allem habe ich mich während der Lektüre dauernd gefragt, was für einem Vogel ich da eigentlich gerade „zuhöre“, konnte mich aber dem makabren Humor nicht entziehen und musste, wie oben erwähnt, öfter und lauter lachen, als es mir angesichts der Textsorte eigentlich angemessen erschien.
Warum noch toll?
Ich könnte mich in langen Reden darüber ergehen, dass das Buch natürlich nicht nur witzig ist, sondern hinter allem Wiener Schmäh auch ernste Töne hervorklingen. Das wäre durchaus zutreffend, wird doch in Müll unter anderem das komplexe Thema Organspende berührt; außerdem spielen schwere Krankheiten, Schuld und Sühne eine Rolle. Da es mir aber derzeit eher nach Humor zumute ist, gebe ich lieber noch ein Beispiel für einen der alltagsphilosophischen Exkurse, mit denen das Buch gespickt ist:
Dem Brenner ist das in seinem Leben schon oft aufgefallen, dass die Leute von der Trauer eine eigene Schönheit bekommen. Da darfst du bei der Beurteilung nie vergessen, vom Menschen die Trauer abzuziehen. Sonst kriegst du ein vollkommen falsches Bild und verliebst dich in die Trauer statt in den Menschen, und später entpuppt sich der als fröhlicher Kobold.
(S. 80)
Angesichts solcher Sätze erstaunt es mich nicht weiter, dass Müll bereits der neunte (!) Band der Brenner-Serie von Wolf Haas ist. Denn da steckt schon ein gewaltiges Suchtpotenzial drin, mein lieber Schwan.
Wem gefällt’s?
Das ist in diesem Fall recht einfach zu beantworten: allen, denen es bei den beiden Textbeispielen spontan die Mundwinkel nach oben gezogen hat. Wer hingegen dachte: „Hilfe, das ist aber anstrengend“, sollte sich lieber anderweitig umsehen, denn dieser Stil wird wirklich von A bis Z so durchgezogen. Ich persönlich hoffe, dass der Autor in absehbarer Zeit noch einen zehnten Band nachlegt.