Naomi Alderman: Die Gabe (Heyne)

Ein spannendes Was-wäre-wenn-Szenario

Buchbesprechung von Julia Hartel

Buchcover des Romans Die Gabe von Naomi Alderman

So viel vorweg

Über Die Gabe kann man sehr geteilter Meinung sein, hat das Buch doch – schreibhandwerklich gesehen – durchaus seine Schwächen. Eines kann man seiner Autorin, der in London lebenden Naomi Alderman, jedoch nicht absprechen: Sie hat ihr Werk auf eine faszinierende Grundidee aufgebaut. Das Resultat ist ein äußerst ungewöhnlicher Roman, den ich (obwohl es sich um einen ziemlichen Wälzer von rund 460 Seiten handelt) unbedingt zu Ende lesen wollte.

Worum geht’s?

Von einem Tag auf den anderen haben mehrere Frauen auf der ganzen Welt die Gabe, mit ihren bloßen Händen schwere Stromstöße zu erzeugen. Das versetzt sie logischerweise in die Lage, sich beispielsweise gegen übergriffige Männer zu wehren. Doch sehr schnell wird ihnen klar, dass sich durch diese Gabe, die sich nach kurzer Zeit weltweit ausgebreitet hat, noch ganz andere Möglichkeiten eröffnen. Das Buch erzählt die Geschichten mehrerer Personen, die diese Phase der Menschheitsgeschichte miterleben und auf verschiedenen Ebenen mitgestalten. Wer zu Beginn allerdings denkt: „Oh, super, endlich räumt mal jemand ein bisschen auf und sorgt für Harmonie und Gerechtigkeit!“, der täuscht sich gewaltig.

Stilistisches et cetera

Wie schon erwähnt, kann Die Gabe höheren literarischen Ansprüchen nicht vollauf genügen. Dabei muss man natürlich beachten, dass es sich um eine Übersetzung handelt – das englische Original wurde ja sicherlich nicht umsonst mit dem Baileys Women’s Prize for Fiction ausgezeichnet. Was mir zum Beispiel sehr daran gefällt, ist das Spiel mit unterschiedlichen Zeitebenen, das durch Zeichnungen von angeblichen archäologischen Fundstücken noch auf die Spitze getrieben wird. Ich gestehe, dass ich erst auf den letzten Seiten nicht von Anfang an vollständig kapiert habe, wie nun eigentlich alles zeitlich zusammenhängt. :-,,

Warum noch toll?

Das Buch ist einfach sehr spannend! Man merkt beim Lesen irgendwann, worauf das Ganze zusteuert, und bekommt langsam, aber sicher die erste Schicht Gänsehaut. Der ersten Schicht folgen weitere. Und dann kommt noch das dicke Ende … Allein schon wegen dieses Spannungsbogens würde sich Die Gabe meiner Meinung nach super für eine Verfilmung eignen.

Zugleich hat mich die Geschichte nachhaltig ins Grübeln gebracht. Mir wurde bewusst, dass ich bis dahin in meinen Geschlechtsgenossinnen ganz selbstverständlich die sanftmütigeren, friedlicheren Menschen gesehen hatte. Die Gabe hat mir in dieser Hinsicht gründlich mein voreingenommenes Gehirn durchgepustet.

Wem gefällt’s?

Leuten, die Spaß an Was-wäre-wenn-Szenarien haben. Und die ausnahmsweise damit leben können, wenn ein Buch zwar einen tollen gedanklichen Unterbau hat, ansonsten aber vielleicht ein ganz klein wenig in Richtung Trivialliteratur tendiert.

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