Sebastian Janata: Die Ambassadorin (Rowohlt)

Schein und Sein

Rezension von Julia Hartel

Buchcover des Romans Die Ambassadorin von Sebastian Janata.

So viel vorweg

Die Ambassadorin – schon wieder ein Debütroman – ist ein bisschen schräg. Vielleicht nicht ganz so schräg wie z. B. Indigo von Clemens J. Setz, aber auch schräg (und wer mich kennt, weiß, dass diese Kategorisierung bei mir meistens ein Kompliment ist ;-)). Die ersten allgemeinen Informationen weckten auf Anhieb meine Neugier: im Burgenland angesiedelte Handlung, aber kein beschaulicher Heimatroman. Ein Mensch mit dem Namen Sebastian Janata als Autor, aber laut Klappentext eine „Ode an das Matriarchat“. So was muss ich natürlich lesen!

Worum geht’s?

Wir befinden uns in einem scheinbar ganz normalen kleinen Dorf im Leithagebirge. Hugo, knapp 30, ist hier aufgewachsen und dann nach Berlin gezogen. Er reist nach Hause, als der Nachbar der Familie stirbt: Der alte Jäger Josef, genannt Beppo, hat sich früher viel um Hugo gekümmert, sodass dieser ihn sogar als „Großvater“ bezeichnet. Nach der Beerdigung zwingt ein Unfall der Eltern Hugo dazu, noch länger in seinem Heimatdorf zu bleiben – so unwohl und eingeengt er sich dort auch fühlt. Gleichzeitig wird ihm klar, wie wenig er eigentlich über Beppo weiß. Um die Zeit in der österreichischen Provinz möglichst sinnvoll zu nutzen, beschließt er, mehr über den Verstorbenen herauszufinden. Und er findet so einiges heraus! Schon bald wird ihm klar, dass in Bezug auf Beppo – und möglicherweise auch in Bezug auf die restliche Welt – vieles nicht so ist, wie es scheint.

Stilistisches et cetera

Janatas Schreibstil ist, passend zur Handlung, interessant. Viele Passagen sind recht sachlich gehalten, wirken fast informativ. Mitunter hätte etwas mehr Sorgfalt beim Formulieren einer Stelle vielleicht nicht geschadet, etwa in Reflexionen Hugos wie dieser: „Noch immer ist alles so stumpf. Aber irgendetwas fühlt sich anders an. Irgendwas ist passiert in mir. Ich kann nicht sagen, was. Ich kann es nur fühlen. Irgendwas.“ Aha.

Andererseits ist für Hugo das Gebäude des Musikvereins „ein Versammlungsort zur Zweckentfremdung von Musikinstrumenten durch feist-feuchte Bauernlippen, die verkrampft ihren heißen Atem in metallische Rohre pressen und selbst bei den plumpsten Heustadlstampfern oft nicht mehr zustande bringen als ein wirres Aufeinanderfolgen blecherner Flatulenzen“. Es geht also auch wesentlich kreativer! 😀

Regelrecht brillant finde ich die Überschrift des Kapitels „Sturm und Drang“. Selbiges behandelt keine literarische Epoche, sondern das Getränk „Sturm“ (hierzulande besser bekannt als „Federweißer“) sowie dessen verdauungsfördernde Eigenschaften. Ein unappetitliches Kapitel, ja. Aber zumindest absolut unvergesslich.

Warum noch toll?

Am besten hat mir der Aufbau des Romans gefallen: Von Hugo erzählte, chronologisch sortierte Kapitel wechseln sich mit Episoden aus Beppos Lebensgeschichte ab. Diese werden aus personaler Erzählperspektive geschildert und führen immer weiter in die Vergangenheit zurück. Das erzeugt beim Lesen das Gefühl, immer mehr zu erfahren, während zugleich alles immer geheimnisvoller wird.

Dabei spielt auch eine Rolle, dass der oft leicht verpeilte Hugo (der sich sympathischerweise als „schmächtigen blonden Knilch“ bezeichnet) recht gern dem Alkohol zuspricht. Dadurch werden die Recherchen nämlich nicht gerade beschleunigt – was vor allem hat ihm, verflixt noch mal, diese rätselhafte Frau Blum von früher erzählt, und was hat sie mit den beiden Frauen zu tun, die aus heiterem Himmel auf Beppos Beerdigung aufgetaucht sind? Was hat es überhaupt dauernd mit den ganzen Frauen auf sich??!!

Dank dieser Kniffe ist man durchgängig sehr gespannt, wie die Dinge letztlich zusammenhängen. Und auch wenn einem das zum Schluss gewonnene Gesamtbild möglicherweise etwas utopisch oder gar unrealistisch vorkommen mag, bleibt nach der Lektüre zumindest der Gedanke zurück: „Hm, wenn das alles wirklich so wäre, … dann wär das ja eigentlich ganz cool!“

Wem gefällt’s?

Der Roman präsentiert starke (oft weibliche) Persönlichkeiten und stellt das „Konzept Männlichkeit“ gnadenlos auf den Prüfstand. Trotzdem glaube ich nicht, dass man eine Anhängerin bzw. ein Anhänger feministischer Literatur sein muss, um es zu mögen. Vielmehr dürfte Die Ambassadorin auch all jenen gefallen, die einfach Spaß an spannenden und ein wenig abgedrehten – eben schrägen – Geschichten haben.

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