Mariana Leky: Was man von hier aus sehen kann (DuMont)

Tiefe Emotionen, feiner Humor und geniale Sprachbilder

Buchbesprechung von Julia Hartel

So viel vorweg

Auf dieses Buch kann ich nur eine Hymne schreiben. Was man von hier aus sehen kann ist wahrhaftig der beste Roman, den ich je gelesen habe. Ich habe ihn schon mehrfach empfohlen und verschenkt, und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird er mein Lieblingsbuch fürs Leben bleiben (also jedenfalls, soweit ich es von hier aus sehen kann … ;)).

Worum geht’s?

Es geht um ein Dorf im Westerwald und seine Bewohner. Hauptperson ist Ich-Erzählerin Luise, die in dem kleinen Nest aufwächst. Was ihr und ihren Verwandten, Freunden und Nachbarn dort passiert, ist im Grunde nicht mehr und nicht weniger als das Leben: Freundschaften, Verluste, Liebe, Konflikte, Psychotherapien, Arbeit, Herzschmerz. Doch irgendwie wird durch Mariana Lekys geniale Erzählkunst aus jeder dieser allgemein bekannten menschlichen Erfahrungen etwas Besonderes. Gut, ein bisschen übersinnlich geht es manchmal schon auch zu, allerdings ohne dass sich das jemals unrealistisch anfühlen würde … Was soll ich sagen? Es ist der perfekte Mix.

Stilistisches et cetera

Alles an Was man von hier aus sehen kann gefällt mir: jede einzelne Idee und jedes kleinste Detail innerhalb des Plots, jede Facette der verschiedenen Charaktere, der feine Humor in den Dialogen und natürlich ganz besonders die Sprachbilder. Solche Bilder werden oft scheinbar beiläufig eingeflochten, etwa wenn Luise das Gefühl hat, ihre Großmutter Selma könne Gedanken lesen („als hingen meine Gedanken in Buchstabengirlanden über meinem Kopf“), oder wenn der Optiker manchmal torkelt und deshalb sogar schon beim Neurologen war, obwohl er eigentlich genau weiß, dass er nur ab und an von seinen inneren Stimmen angerempelt wird.

Warum noch toll?

Weil man beim Lesen unfassbar viele Emotionen unfassbar tief durchlebt. Wegen solcher Kapitelüberschriften wie „Der Sex mit Renate raubt mir den Verstand“. Wegen Lekys Fähigkeit, Situationskomik mit Worten abzubilden. Weil Selma noch mehr wie Rudi Carrell aussieht als Rudi Carrell selbst. Weil man bei dieser Selma, der lustigen, gütigen und weisen Großmutter, am liebsten sofort einziehen möchte. Weil immer, wenn Luise flunkert, etwas herunterfällt, sie selbst aber diesen Zusammenhang gar nicht erkennt. Weil … Ach, ich könnte noch laaange so weitermachen.

Wem gefällt’s?

Da müsste die Frage eigentlich anders lauten: Wem könnte dieses Buch nicht gefallen? Was man von hier aus sehen kann sollten alle kennenlernen, die beim Lesen abwechselnd lauthals lachen und Tränen verdrücken, mit den Figuren mitfiebern und sich in manche von ihnen vielleicht sogar einmal kurz verlieben möchten. Alle, die sorgfältig gestaltete Details und eine originelle, ästhetische Ausdrucksweise zu schätzen wissen. Kurz: alle Anspruchsvollen, die außerdem etwas mit Gefühlen anfangen können. Und alle anderen wahrscheinlich erst recht.

2 Gedanken zu „Mariana Leky: Was man von hier aus sehen kann (DuMont)“

  1. Liebe Julia,
    Deine Rezension ist mindestens genauso traumhaft wie das Buch! Das hatte ich mir gleich besorgt, als Du es mir (vor ein paar Jahren schon??) empfohlen hattest. Und dann habe ich auch gleich ein zufällig getroffenes Ehepaar aus dem Westerwald angesprochen, ob sie denn dieses fabelhafte Buch um ihre Heimat nicht kennen würden. Offensichtlich taten sie das nicht, denn das im Anrollen befindliche literarische Gespräch wurde schnell wieder auf Smalltalkiges gelenkt. Schade. Aber umso schöner, dass Dein Blog wider den Smalltalk zur Auseinandersetzung mit tiefen, bunten, chaotischen (Gefühls-)Welten inspiriert! <3 Keep it up!

    1. Oh, vielen Dank, liebe Inga, es freut mich sehr, dass du mein Geschreibsel tatsächlich regelmäßig lesen willst! 😀 Und natürlich auch, dass dich besagtes Buch so begeistert hat wie mich. Mir ist seitdem nichts vergleichbar Tolles begegnet. Sollte dir etwas unterkommen, bitte sofort Bescheid geben! Liebste Grüße!

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