Jasmin Schreiber: Marianengraben (Eichborn)

Gegen die Liebe ist der Tod chancenlos

Rezension von Julia Hartel

Cover des Romans Marianengraben von Jasmin Schreiber

So viel vorweg

Auf Marianengraben kam ich über das Literaturnetzwerk LovelyBooks. Angesichts der vielen begeisterten Bewertungen dort dachte ich schon, der Titel würde womöglich meinem bisherigen Lieblingsbuch seinen Platz in meinen ganz persönlichen Buch-Charts streitig machen – was dann nicht passierte. Berührt hat mich Jasmin Schreibers Debütroman dennoch.

Worum geht’s?

Paula leidet an einer schweren Depression. Eigentlich sollte sie ihre Doktorarbeit in Biologie schreiben, doch vor zwei Jahren ist ihr kleiner, damals zehnjähriger Bruder Tim im Meer ertrunken. Ausgerechnet Tim, der das Meer mit all seinen Bewohnern so sehr geliebt hat. Seitdem sitzt Paula – gefühlt – auf dem Grund des elf Kilometer tiefen Marianengrabens fest, gepeinigt von Trauer und Schuldgefühlen. Eines Nachts lernt sie unter ziemlich absonderlichen Umständen einen älteren Herrn kennen: den geheimnisvollen und nicht gerade philanthropisch veranlagten Helmut. In Begleitung seiner Hündin Judy machen sich die beiden mit dem Wohnmobil auf eine außergewöhnliche Reise. Und während sie unterwegs sind, taucht Paula Stück für Stück aus ihrem Marianengraben auf.

Stilistisches et cetera

Marianengraben ist vielleicht im allerweitesten Sinne eine Art Briefroman. Zumindest richtet Paula ihre Erzählungen und Reflexionen an Tim als Gegenüber. Dabei drückt sie sich meist eher sachlich-berichtend aus; sobald sie ansatzweise poetisch wird, kommt oft auch gleich die Wissenschaftlerin mit durch: „Wir standen am Rand einer Landstraße, … und um uns herum brüllten die Rapsfelder mit ihren gelben Blüten die Stäbchen und Zapfen unserer Netzhäute an.“

Vieles ist kindgerecht formuliert, etwa wenn ein Friedhofskreuz als „ganz schön heftig verschnörkelt und verziert“ beschrieben wird oder wenn Paula in relativ schlichten Worten ihre verzweifelten Gedanken wälzt: „Was hast du gesehen, bevor du gestorben bist? Einen Fisch? Hoffentlich hast du einen Fisch gesehen. Und hoffentlich hast du nicht an mich gedacht. Bitte nicht, denn ich war nicht da, um dir zu helfen.“

Anderes wiederum hätte Paula zu ihrem lebendigen Bruder mit Sicherheit nie gesagt: „Am liebsten würde ich meine Nägel in meine Bauchdecke schlagen und sie aufreißen, mich selbst in tausend blutige Stücke zerfetzen, meinen Schädel öffnen und mein Gehirn mit einem Ruck aus meinem Kopf holen, damit ich mir das alles [gemeint ist Tims Ertrinken] endlich nie wieder vorstellen muss.“ Auch wenn der Roman in stilistischer Hinsicht nicht durchgängig gleich stark ist: An solchen Stellen läuft es einem schon kalt den Rücken hinunter. Ja, so grässlich ist Trauer. Eindrucksvoller kann man es wahrscheinlich kaum rüberbringen.

Warum noch toll?

Das Buch ist zwar ausgesprochen tiefgründig und Tod und Tränen nehmen viel Raum ein, aber es geht darin nicht nur dunkel zu. Vielmehr gibt es immer wieder lustige Stellen, die Figuren haben Humor und können sich stellenweise schief und scheckig lachen.

Paula gelangt, wie gesagt, nach und nach an die Oberfläche. Sie erkennt, dass man sich trotz möglicher Verluste ins Leben stürzen sollte, und dass der Tod gegen die Liebe letztlich keine Chance hat.

Außerdem – und das meint sogar einer wie Helmut – ist es ja „vielleicht … doch so, dass man sich wiedersieht“. Unterm Strich will die Geschichte also bei aller Schwermut auch jede Menge Hoffnung spenden. Wollte man sehr kritisch sein, könnte man allerdings fragen, ob sich am Ende nicht manche Dinge etwas zu geschmeidig fügen …

Wem gefällt’s?

Die Stimmung und der Spannungsbogen von Marianengraben haben mich ein bisschen an Morgen kommt ein neuer Himmel von Lori Nelson Spielman erinnert. Zugleich hat die Handlung einiges von einem Roadtrip – ähnlich wie Tschick von Wolfgang Herrndorf oder Töchter von Lucy Fricke. Wem diese Geschichten gefallen haben, dürfte Schreibers Buch ebenfalls mögen. Knallharten Realisten sowie frisch trauernden Menschen würde ich den Roman hingegen eher nicht empfehlen.

2 Gedanken zu „Jasmin Schreiber: Marianengraben (Eichborn)“

  1. Liebe Julia, ich muss dir unbedingt mitteilen, dass ich deine Buchbesprechung vom Marianengraben super finde. Wahrscheinlich kaufe ich mir dieses Buch, denn du hast mich so was von neugierig gemacht!
    Mach weiter so!
    Herzlichen und lieben Gruß von Hella

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