Christine Wunnicke: Die Dame mit der bemalten Hand (Berenberg)

Kaum ein Wimpernschlag

Rezension von Julia Hartel

So viel vorweg

Wer die zuletzt hier vorgestellten Bücher möglicherweise ein bisschen zu düster und unerfreulich fand, darf aufatmen: Die Dame mit der bemalten Hand von Christine Wunnicke ist ganz und gar keine düstere, sondern eine ausgesprochen charmante Erzählung mit wunderbarer Botschaft. Diesmal also eine uneingeschränkte Leseempfehlung!

Worum geht’s?

Um den deutschen Wissenschaftler Carsten Niebuhr (1733–1815). Dieser unternahm im Auftrag der dänischen Krone eine mehrjährige „Arabische Reise“ und leistete dadurch wichtige Beiträge zur damaligen Erforschung des Orients. Angeregt hatte die Expedition der Göttinger Professor Johann David Michaelis, der auf diese Weise den Wahrheitsgehalt der Bibel empirisch überprüfen lassen wollte. Eine von Niebuhrs Reisestationen: die im Thane Creek bei Mumbai gelegene Insel Elephanta. So weit der authentische historische Hintergrund.

Christine Wunnicke lässt Niebuhr auf Elephanta dem sprachbegabten persischen Astronomen Musa al-Lahuri begegnen. Beide Männer haben die Abfahrt der Schiffe, mit denen sie auf die Insel gelangt sind, verpasst. So sitzen sie nun dort fest und es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als auf Rettung zu warten – eine Geduldsprobe vor allem für Niebuhr, der kräftig vom „Sumpffieber“ geschüttelt wird. Doch die Gelehrten haben Glück: Die ersehnte Rettung kommt. Und am Ende gibt es dann noch einen kleinen Clou.

Stilistisches et cetera

Sprachlich finde ich Die Dame mit der bemalten Hand mehr als gelungen. Mitunter hat man tatsächlich das Gefühl, eine Geschichte aus der Zeit Goethes zu lesen, was wohl hauptsächlich auf die Verwendung heute nur noch selten gebrauchter Begriffe zurückzuführen ist („Frauenzimmer“, „zuschanden werden“, einer Person „zum Tort“ etc.). Angenehm ist dabei, dass Wunnicke es nicht übertreibt. Vielmehr bricht sie den ästhetischen und eleganten, aber eben auch leicht antiquiert anmutenden Duktus mit fabelhaft trockenem Humor immer wieder auf:

Zunächst, als er [Niebuhr] aus der ersten Ohnmacht erwacht war, hatte er noch höflich mit Musa geredet. Er heiße Nibbur und mit Rufnamen Kurdistan und stamme aus Almanya. (…) Der Bursche würde schon wissen, warum er so log. Kein Mensch hieß Nibbur und gewiss nicht in Almanya.

(S. 39)

Überhaupt ist besonders dieser Meister Musa ganz wundervoll gezeichnet: aufbrausend, doch letztlich durch und durch gütig, überaus gebildet, dabei ein ziemlicher Kauz und ein unübertroffener Geschichtenerzähler. Köstlich lesen sich zudem die vielfältigen Kommunikationsschwierigkeiten im Wirrwarr aus Arabisch, Persisch, Englisch, Deutsch, Sanskrit und anderen indischen Sprachen. Von den Inseleinwohnern Unterstützung bei der Pflege des kranken Niebuhr zu bekommen, ist beispielsweise alles andere als einfach:

»Lasst Feuerbeschaffungseile walten, oh Hundesöhne!«, schrie Musa al-Lahuri. »Opfert ein Tuchgewirk blitzgeschwind, denn ich will es betauen!« Wie er dieses Sanskrit verabscheute. Er stellte Feuer, Wasser und einen nassen Lappen mit vielen mühsamen Gesten dar.

(Ebd.)

Über so was kann ich mich ja schlapp lachen. 😀 Wie gesagt: Die Dame mit der bemalten Hand ist voll von klugem Witz. Dass es der Roman auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat, war meines Erachtens absolut gerechtfertigt.

Warum noch toll?

Weil Niebuhr und Musa so herrlich genervt voneinander sind, vieles grundverschieden sehen und sich dabei gegenseitig ein wenig belächeln, einander aber trotzdem respektieren, ja sogar irgendwie mögen. Musa steht Niebuhr während seiner Fieberschübe bei; solange der Patient sich besser fühlt und nicht gerade indische Götterbilder ausmisst, wird diskutiert – friedlich. Offensichtlich ist beiden einfach klar, dass sowieso alle Erkenntnis nur Stückwerk ist.

Das Buch zeigt also: Wenn zwei Gelehrte auf dasselbe Sternbild blicken und der eine darin Kassiopeia sieht und der andere eine mit Henna bemalte Damenhand, dann ist eins nicht richtiger oder falscher als das andere. Unter dem Sternenhimmel sind wir alle gleich, nämlich kaum ein Wimpernschlag in der Geschichte dieses Universums. Trotz unterschiedlicher Herkunft, Religion, Bildung und worüber Menschen sich sonst noch so definieren.

Schön herausgearbeitet sind übrigens auch Niebuhrs Wissensdurst und sein Interesse an fremden Kulturen, das für ihn nicht an irgendeinen Zweck gebunden ist – schon gar nicht an Michaelis’ Ehrgeiz, in den Ländern des Orients Antworten auf alle Fragen zu finden, die ihm und anderen Gelehrten beim Bibelstudium in den Sinn gekommen sind.

Wem gefällt’s?

Grundsätzlich ist Die Dame mit der bemalten Hand Balsam auf die Seelen aller, die versuchen, sich in Toleranz, Demut und Frieden zu üben. Und natürlich wird das Buch denjenigen ein besonderes Fest sein, die gern historische Romane lesen und/oder sich für Astronomie interessieren.

[Vielen Dank an den Berenberg Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars!]

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