Deutschland im Jahr 2025
Buchbesprechung von Julia Hartel
So viel vorweg
In allen vier Titeln von Juli Zeh, die ich bisher gelesen habe, geht es ans Eingemachte, was mir durchaus zusagt; Leere Herzen (2017) hat mich von den vieren jedoch am meisten gefangen genommen. Vielleicht, weil die gesellschaftspolitischen Bezüge dieses Romans besonders realistisch erscheinen. Oder weil man eine solche innere Spannung in Bezug auf seine Protagonisten empfindet: Von deren Handlungen fühlt man sich einerseits abgestoßen, merkt aber andererseits, dass hier letztlich nur ein recht weit verbreiteter Gedanke konsequent ausgelebt wird – der Gedanke, dass die Kategorien Richtig und Falsch reine Illusion seien. Und so stellt man sich beim Lesen schaudernd die Frage: „Könnte es womöglich sein, dass es – heute oder in Zukunft – tatsächlich solche Menschen gibt??“
Worum geht’s?
Wir befinden uns im Jahr 2025. Britta Söldner lebt mit ihrem Mann und ihrer siebenjährigen Tochter in Braunschweig. Dass es ihr finanziell ausgezeichnet geht, hat sie dem Erfolg ihres Unternehmens zu verdanken: „Die Brücke“ heißt die Firma, die sie gemeinsam mit ihrem Geschäftspartner Babak Hamwi aufgezogen hat. Auf den ersten Blick handelt es sich dabei um eine Anlaufstelle für potenziell selbstmordgefährdete Menschen – von denen es in jener pragmatischen, in Bezug auf Werte oder gar Glauben völlig orientierungslosen und desillusionierten Gesellschaft leider eine ganze Menge gibt. Doch dass die „Brücke“ verzweifelten Klientinnen und Klienten Hilfe anbietet, ist nur die halbe Wahrheit. Und zudem bekommen Britta und Babak plötzlich (tod‑)ernst zu nehmende Konkurrenz.
Stilistisches et cetera
Juli Zeh ist schon so ein Phänomen: Als Juristin und Schriftstellerin hat sie mal eben zwei Berufe. Und das, obwohl sie in meinen Augen schon in puncto Schreiben genug Talent für zwei besitzt. Es ist fast ein bisschen gemein, was manche Leute alles können. Ihren beiden Betätigungsfeldern entsprechend verhandelt Zeh in ihren Geschichten oft grundlegende Fragen rund um Gewissen, Wahrheit, Moral, Ethik und Gesetz. Dies kam schon in Spieltrieb (2004) sehr deutlich zum Tragen. Vergleicht man übrigens diesen Roman mit Leere Herzen, kann man kaum glauben, dass sie von ein und derselben Autorin stammen sollen: Während Spieltrieb angesichts seiner ausufernden, kunstvollen, von einer auktorialen Erzählinstanz formulierten Sätze irgendwie aus der Zeit gefallen wirkt, kommt Leere Herzen zumeist ausgesprochen nüchtern daher. (Böse Zungen könnten das Werk von Juli Zeh insofern als stilistisch heterogen bezeichnen; für mich persönlich ist es eher ein Beleg für ihre Vielseitigkeit. So einen Thomas-Mann-Duktus wie in Spieltrieb muss man nämlich erst mal hinkriegen!)
In Leere Herzen haben wir es mit einer personalen Erzählsituation zu tun: Berichtet wird aus dem Blickwinkel von Britta, und zwar eben sehr „auf den Punkt“, mit genau der kühlen Sachlichkeit, die diese Heldin auszeichnet. Die wenigen Ecken, an denen es poetisch wird („Die Möbel schweigen wie Partygäste, die eben noch über den Neuankömmling gesprochen haben“), wirken dabei ein wenig wie Fremdkörper. Auch das ein kluger Kunstgriff, denn Britta hat natürlich doch nicht nur diese eine, rationale Seite, auch wenn sie es selbst nicht wahrhaben will.
Warum noch toll?
In Leere Herzen wird ganz schonungslos eine beunruhigende Zukunftsvision ausgebreitet. Wie oben schon erwähnt, funktioniert das Beunruhigen vermutlich deshalb so gut, weil es sich bei den erzählten Ereignissen zwar um Science-Fiction handelt, sie aber zeitlich nicht weit weg und nicht unvorstellbar genug sind, als dass man sich wirklich davon distanzieren könnte: Deutsche Parteien wie die „BBB“ (= „Besorgte-Bürger-Bewegung“), nach dem Brexit auch noch „Frexit“, „Spexit“ und „Schwexit“ – alles keine völlig absurden Ideen, oder? Gefallen hat mir allerdings auch, dass die Geschichte nicht vollständig in der scheinbar alles bestimmenden Hoffnungslosigkeit stecken bleibt, sondern Britta ab einem bestimmten Punkt doch noch ins Nachdenken kommt.
Wem gefällt’s?
Leere Herzen dürfte grundsätzlich Fans von Politthrillern ansprechen, innerhalb dieser Gruppe in erster Linie die leicht sarkastischen Zeitgenossen – und darunter wiederum diejenigen, die allem gerechtfertigten Kulturpessimismus zum Trotz auch noch an das Gute in einzelnen Menschen glauben möchten.