Spinnenbeinige Wörter und ein Zauberkleid
Buchbesprechung von Julia Hartel
So viel vorweg
Susanne Neuffer ist gebürtige Nürnbergerin; trotzdem bin ich erst vor nicht allzu langer Zeit auf sie aufmerksam geworden, und zwar durch den Adventskalender des Deutschen Buchpreises auf Facebook. Von 1. bis 24. Dezember wurde dort wieder jeden Tag von einer anderen Person aus der schreibenden Zunft je ein Buch einer Kollegin oder eines Kollegen empfohlen. Im Schuppen ein Mann war der – in knappe Worte gekleidete – Tipp von Anke Stelling. Mein Gehirn legte gleich los: „Was für ein Mann? Und wieso im Schuppen??“ Der Titel funktionierte also schon mal. 😉 Und in der Tat fand ich auch innen jede Menge gelungener Stellen zum Anstreichen …
Worum geht’s?
Der Band ist eine Sammlung von Erzählungen, daher geht es logischerweise um viele verschiedene Themen und Charaktere. Obwohl – manches haben die Charaktere auch gemeinsam. Der Zollbeamte, der seinen ehemaligen, an Demenz erkrankten Professor bedauert, sich aber selbst an keinen Tag des Jahres 2015 erinnern kann; Jutta, die ihre Tochter an deren Arbeitsplatz in der russischen Arktis besucht und sich dort doch nur lästig fühlt; Darius, der sich auf dem Sommerfest seiner früheren Firma deplatziert vorkommt und dann auch noch merkt, dass er damals das vielleicht Wichtigste übersehen hat; nicht zuletzt der titelgebende Mann im Schuppen: Sie alle sind sich ihrer selbst nicht sicher, schlingern auf der Metaebene herum, bleiben hängen an Dingen, die unwiederbringlich zu Ende gegangen sind (bzw. gerade zu Ende gehen oder sehr bald zu Ende gehen werden). Etliche Menschen in der zweiten Lebenshälfte sind darunter, Männer und Frauen, die sich über ihre erwachsenen Kinder wundern, alte 68-er, Schriftsteller und Pseudoschriftstellerinnen, Verschwörungstheoretiker. Sie sind alle ein bisschen schräg und so ziemlich das Gegenteil von oberflächlich, und womöglich kann ich einige von ihnen gerade deshalb so gut leiden. 🙂
Stilistisches et cetera
Dass die Geschichten bei allem Tiefgang nicht zu schwer werden, haben sie Susanne Neuffers leicht melancholischem Witz zu verdanken. Hier eine klitzekleine Kostprobe aus „Vorrat“, einer Miniatur über einen Abend unter Autoren: „Wir hatten gegessen, gelacht, getrunken, gelesen, geredet (…). Die Schrecken hatten sich ein wenig zurückgezogen, saßen wahrscheinlich auf den Bücherregalen rings umher und baumelten mit ihren Spinnenbeinen (der Gipfel, die Pest, die Wörter auf -ierung). Einen Abend lang waren wir uns sicher gewesen, dass es unser Beruf sei, die Schrecken zu bannen.“ Spinnenbeinige Wörter! Ich kann mich nicht erinnern, jemals etwas Vergleichbares gelesen zu haben. Und ähnlich tolle Ecken gibt es immer wieder. Um es also noch mal zu sagen: Sprachlich hat mich das Buch stellenweise tief beeindruckt.
Warum noch toll?
Susanne Neuffer hat ihre Geschichten zu ungleichen Teilen vier Hauptüberschriften zugeordnet: „Im Schuppen ein Mann“, „Applaus Applaus“, „Wenn das Pferd ruft“ und „Sterne unter dem Jackett“. Auch die Erzählungen selbst sind ganz unterschiedlich lang: die kürzesten nur eine oder zwei Seiten, die längste ca. 15 Seiten. Sämtliche Erzählperspektiven sind vertreten. Diese Vielfalt allein macht die Sache schon spannend. Und dann sind da eben, wie gesagt, all die verschiedenen Settings und Charaktere, bei deren Entwurf Susanne Neuffer großen Einfallsreichtum beweist.
Mein Favorit ist „Das Kleid“: Eine Künstlerin leiht sich für eine Vernissage ein viel zu edles Kleid aus und scheint sich darin plötzlich in eine andere zu verwandeln – bis am nächsten Morgen die große Verwirrung eintritt. Und „Im Schuppen ein Mann“ hat mich ebenfalls sehr in seinen Bann gezogen: Berührend, wie sich darin zwei einsame Menschen nicht sagen können, wie sehr sie einander brauchen.
Generell – und jetzt kommt doch noch so etwas Ähnliches wie leichte Kritik – gefallen mir die Erzählungen am besten, die eine Pointe oder wenigstens einen klaren (gern auch offenen!) Schluss haben. Bei manchen von ihnen scheint die Handlung hingegen ein wenig im Sande zu verlaufen oder zumindest „nirgendwo hinzuführen“. Teilweise muten sie an wie Skizzen oder wie Fragmente aus einem größeren Roman; in diesen Fällen würde man oft gern mehr über die Heldinnen oder Helden erfahren oder wissen, wie das Ganze weitergehen könnte. „Radio Vernunft“ wäre hierfür ein Beispiel: Hier wird eine eigentlich geniale Idee entwickelt, aber die Geschichte ist einfach irgendwann zu Ende. Dabei ist mir natürlich klar, dass in einer Kurzgeschichte nicht so viel Entwicklung stattfinden kann wie in einem Roman; und es ist auch klar, dass dieser Wunsch nach einer Pointe etwas sehr Subjektives ist. Es handelt sich hierbei schlichtweg um meinen persönlichen Geschmack.
Wem gefällt’s?
Diese Frage ist im Falle von Im Schuppen ein Mann relativ schwer zu beantworten. Aus meiner Sicht ist das Buch das Richtige für Leserinnen und Leser, …
- die keine Action brauchen, sondern es lieber leise mögen,
- die der Fassade unserer Welt nicht trauen, sondern vorzugsweise hinter die Dinge blicken,
- für die es auch mal eine Momentaufnahme sein darf
- und die es gut aushalten können, einen interessanten Charakter, über den sie vielleicht gern mehr erfahren hätten, schnell wieder ziehen lassen zu müssen.